Auszüge aus dem Kapitel „Reise zum Tarutos“

…………………………………… Stunden waren vergangen und die Stimmung hatte sich gebessert, da Sol den Nebel und die Feuchtigkeit nach und nach vertrieben hatte. Nur noch ein leichter, heller Schleier hing über der Welt, der selbst die Sümpfe, die sie mittlerweile erreicht hatten, überaus freundlich aussehen ließ. Fanir und Karameen überlegten gerade, dass Maranda bald wieder zu ihnen stoßen müsste, als Karrsas kristallklarer Gedanke in ihren Köpfen explodierte. „Ich habe sie gefunden. Es sind viele und sie haben auch mich entdeckt.“ Jeder in der Gruppe konnte die leichte Besorgnis spüren, die in der Botschaft lag. Gleichzeitig sahen sie Bilder der Wesen, die sich Karrsa näherten. Sie sahen genau so aus, wie Meister Hogwass sie beschrieben hatte. Jedoch wirkten sie nur deshalb klein, weil sie gebeugt gingen und sich mit ihren langen, dünnen Armen auf dem Boden abstützten. Knöcherne Krallen bohrten sich dabei in den schlammigen Boden. „Wir kommen zu Dir!“ sandte Fanir einen Gedanken an Karrsa und wendete Ruki in Richtung Nordosten. „Ihr könnt nicht zu mir kommen – Ihr seid zu schwer – Ihr werdet einsinken. Bleibt, wo Ihr …..“ Der Gedanke und der Kontakt brachen ab. Karrsa und auch seine Aura waren wie vom Erdboden verschluckt. Karameen sah sich um. „Dort vorne, wo die Bäume stehen!“ Sie wies auf eine Halbinsel, die weit in den Sumpf hineinragte und gab Grauwind die Sporen. Die anderen folgten ihr.

Eilig saßen sie ab und blickten durch die letzten Nebelschwaden in den Sumpf. „Dort hinten!“, rief Maurah. „Ihre Aura ist kaum zu sehen. Sie ist graugrün wie die des Sumpfes!“ Karameen blickte in die Richtung, in die auch Maurah sah und erkannte die magischen Auren der Wesen. Sie erinnerten sie an die der Wrokorks; wenn auch die Farbe vollkommen anders war. „Maurah und Goldstein, passt auf die Pferde auf! Fanir und Gannio – Ihr folgt mir!“ Ohne einen Moment zu zögern, saß sie von Grauwind ab und rannte in den Sumpf.

Öliges Wasser und Matsch spritzten bei jedem Schritt in alle Richtungen, als die drei einem schmalen Pfad folgten, der sich zwischen stinkenden Tümpeln hindurchwand und in den Sumpf führte. Immer wieder blieb ein Fuß im Schlamm stecken und aus dem Rennen wurde mehr und mehr ein eiliges Vorwärtstasten in Richtung der magischen Auren der Angreifer. Diese bewegten sich schneller als die Magae und hielten auf einen Hügel mitten im Sumpf zu, der von gewaltigen Nadelbäumen bewachsen war. „Früher müssen die Bäume auch hier gestanden haben“, dachte Fanir, als er Karameen beobachtete, wie sie katzengleich über einen schwarzen, rindenlosen Ast sprang. Dann jedoch blieb ihr Mantel an dem Ast hängen und sie stoppte, als wenn sie gegen eine Wand gelaufen sei, ruderte mit den Armen in der Luft und fiel seitwärts in das ekelhafte Gemisch aus Wasser und Schlamm. Fauliger Gestank stieg auf.

Verfluchter Sumpf ….“, dachte Karameen als sie einen unangenehmen, fremdartigen Gesang hörte, der durch das ölige Wasser in ihre Ohren und direkt in ihren Kopf drang. Anstatt sich an der Hand emporzuziehen, die Gannio ihr durch die Brühe entgegenstreckte, blieb sie still liegen und tastete mit ihrem magischen Empfinden nach den unbekannten Geräuschen. Fasziniert folgte sie dem Gesang und merkte nicht einmal, dass ihr Körper von Gannio und Fanir auf den schlammigen Pfad gezogen und zu der bewaldeten Insel getragen wurde. Ihr Geist floss durch Wasser und Matsch, verließ den Sumpf am Fuß des Hügels und schwebte über die alten, dunklen Modertannen in Richtung des kleinen Gipfels der Insel. Sie blickte zurück und sah die Auren von Fanir und Gannio, die vor ihrem leblosen Körper am Rande des Sumpfes knieten, wendete dann wieder ihre Aufmerksamkeit in die Richtung, aus der der Gesang kam und schwebte, nun vorsichtiger und langsamer, weiter. Als sie fast den Gipfel erreicht hatte, umschwebte sie einen spitzen Felsen und stoppte, entsetzt von dem Bild, das sich ihr bot.

Elegant landete Maranda vor Maurah und Goldstein und senkte zum Gruß den Kopf vor den beiden, als der drängende, gedankliche Hilfeschrei sie erreichte. Maranda und Maurah blickten sich kurz an und tauschten Gedanken aus. Maurah wandte sich an Goldstein. „Kannst Du kämpfen?“ Verständnislos blickt Goldstein Maurah an. „Selbstverständlich, aber warum fragst Du?“ Maurah griff nach ihrem Bogen. „Karrsa braucht Hilfe! Los, auf Marandas Rücken. Sie wird uns zum Hügel bringen! Die kurze Strecke kann sie uns beide tragen.

Karameen musste nicht lange auf die Antwort warten, nachdem sie um Hilfe gerufen hatte. Maurah und Maranda – und Goldstein – waren auf dem Weg zu ihr. Schnell wie ein Blitz schoss sie zurück in ihren Körper und stand fast augenblicklich auf ihren Beinen. Gannio und Fanir, die immer noch knieten, blickten erstaunt zu ihr hoch. „Los! Zum Gipfel! Karrsa ist in Gefahr!“ Während sie einen kleinen Pfad hügelaufwärts rannten, erklärte Karameen, was passiert war und was sie entdeckt hatte. „Sie haben Karrsa in einem magischen Feld eingeschlossen. Diese Wesen verfügen nicht über starke magische Fähigkeiten, aber es sind sehr, sehr viele. Karrsa kann sich nicht wehren, solange er in dieser magischen Hülle ist, aber er hat es irgendwie geschafft, die Hülle an der Felsspitze dort oben zu befestigen. Die Wesen schaffen es nicht, ihn weiter zu zerren. Und dies ist gut so. Hinter der Felsspitze befindet sich ein kleines Tal und auf der anderen Seite des Tals habe ich einen tiefschwarzen Spalt gesehen. Er ist verschlossen, aber ich befürchte, dass er geöffnet in eine andere Welt führen kann. Ich weiß nicht, was passiert, wenn Karrsa und Wasserwüste diesen Spalt erreichen, aber ich bin mir sicher, dass wir alles tun sollten, um dies zu verhindern!

Was Karameen zu berichten hatte, war erschreckend. Dakaron musste hier gewesen sein, um ein Tor zu öffnen. Es war ihm nicht vollständig gelungen, aber offenbar waren Wesen aus der Parallelwelt nach Tarris gelangt. Schweigend und besorgt nahmen sie den letzten Anstieg vor dem Gipfel des Hügels in Angriff, als sie Marandas angestrengten, geräuschvollen Flügelschlag hörten. Sie blickten nach Westen und sahen Maranda, wie sie geschickt die letzte Meile durch die dunkelgrünen Nadelbäume glitt. Sol stand höher und jedes Mal, wenn seine Strahlen Maranda erreichten, funkelte es rosarot im dunklen Grün. Dann landete Maranda wenig galant vor ihnen und fiel nach vorne auf die Brust. Die beiden jungen Frauen waren schwerer, als sie geglaubt hatte. Karameen blickte die drei Neuankömmlinge an. „Wir werden kämpfen müssen, um Karrsa zu befreien. Lasst Euch keinesfalls gefangen nehmen. Sie dürfen keines der Artefakte in ihre Klauen bekommen!

Als sie die Hügelspitze erreicht und den Fels passiert hatten, erstreckte sich vor ihnen ein uralter Krater, in dem noch immer der morgendliche Nebel waberte. Büsche und kleine Bäume bedeckten die sanften Hänge und den Boden der Mulde. Zwischen den Pflanzen wanden sich zahllose, erdige Wege hindurch, die alle in Richtung der schwarzen Spalte strebten. Rechts von ihr zogen sich fast einhundert schäbige Hütten den Hang hinauf und auf den Wegen wimmelte es von den gebückten Gestalten. Jede von ihnen blickte in Richtung Karrsa, der sich in einer grau schimmernden, fast durchsichtigen Kugel befand, die einen Fuß über dem Boden schwebte. Feine graugrüne, magische Fäden zogen sich von den Wesen zu der Kugel und hielten sie intakt. Aber auch Karrsas Magie war sichtbar. Ein dickes blaues Band hatte die Hülle der Kugel durchbrochen und sich im Boden verankert. So schien Karrsa zu verhindern, dass er weiter in Richtung der Spalte gezogen wurde. Weitere blaue Strahlen hatten sich von innen in die Kugel verbissen und versuchten, diese zu zerstören.  …………………….

.............  Beide Monde erleuchteten die Nacht und tünchten Mosta in ein fahles Licht, als Karrsa von Gebäude zu Gebäude wanderte und mit seiner magischen Wahrnehmungskraft jeden Winkel untersuchte. Aber außer Stein, Sand und einigen wenigen Flechten entdeckte er nichts. Die sandige Straße, der er folgte, führte zu einem weiteren Brunnen, der deutlich größer war als der, wo sie sich erfrischt hatten. Er war überdacht, und eine ausgetretene, schmale Steintreppe führte in Wendeln in die Tiefe. Auch hier konnte er klares, frisches Wasser spüren. Gerade wollte Karrsa weitergehen, als er eine magische Aura spürte, die aus dem Brunnen zu kommen schien. Sofort versuchte er aufzuspüren, woher die Aura kam, aber es war nichts mehr zu spüren. Karrsa zögerte einen Moment und blickte dann vorsichtig in den Brunnen. Dort war nichts. Langsam begann er die schmale Wendeltreppe in die Tiefe zu steigen. Er war bereits einige Zeit unterwegs, als er das leise Plätschern des Wassers hörte. Sofort dachte er unwillkürlich an Wasserwüste und das, was er in der Geheimen Bibliothek über sein Artefakt erfahren hatte. Langsam ging er weiter und versuchte, das umzusetzen, was er gelesen hatte. Er konnte selbst nicht sagen, wie es funktionierte, aber er konzentrierte sich auf die kleinsten Teilchen, die er im Wasser spüren konnte und bewegte diese. Immer schneller wurden die Schwingungen und ein wenig Dampf stieg auf. Dann – von einem Moment auf den anderen – erstrahlte das Wasser in einem hellen, warmen Blauton. Das Licht war so hell, dass Karrsa den gesamten Schacht sehen konnte. Schatten tanzten über die Brunnenwände. Er konnte deutlich erkennen, dass der Schacht weiter unten in eine Kaverne mündete, deren Ränder er von hier aus nicht erkennen konnte; aber er konnte sehen, dass diese Höhle einen ganzen See beherbergte. „Warum hatten die Homuae diesen Ort verlassen, wenn es hier so viel Wasser gab? Wenn es hier Nahrung geben würde, wäre dies ein idealer Platz, um ein Volk der Karrsaraia anzusiedeln!“ Er dachte über die Pilze nach, die in der Dunkelheit der Geheimen Bibliothek wuchsen.

Karrsa hatte den Rand der Wasserfläche erreicht, die sich weit in die Ferne ersteckte. Die Kaverne war riesig und ihre gewölbte Decke wurde von kunstvoll verzierten, dicken Steinsäulen getragen, die weit voneinander entfernt aus der Wasserfläche ragten. Diese Höhle, dieser Wasserspeicher musste von Homuae geschaffen worden sein. Überall am Rand der Höhle zogen sich breite Wege entlang, die in der Ferne verschwanden. Weiter hinten glaubt er sogar einige Schiffe zu erkennen, die sich leicht hin und her wiegten.

Karrsa probierte eine weitere der Fähigkeiten aus, über die er in den Büchern gelesen hatte und sandte einen Teil seines magischen Wesens in das Wasser. Er war fasziniert. Es kam ihm vor, als wenn er sich wie ein Fisch im Wasser bewegt, nur dass er dies unglaublich schnell tun konnte. Er spürte alles, was sich im Wasser in seiner Umgebung befand. Jedes Sand- oder Staubkorn, dass im Wasser um ihn herum schwebte und von denen es nur sehr wenige gab, bemerkte er sofort. Dann raste er nach Norden; immer weiter und weiter, aber die Kaverne endete nicht. Er legte in Sekunden eine Strecke zurück, für die er in seinem schnellsten Sprint in der Wüste bestimmt einen Tag benötigt hätte. Und dann spürte er Lebewesen und stoppte. Er untersuchte die Kaverne und konnte spüren, dass der Stein sich geändert hatte, deutlich dunkler geworden war und ihm jünger schien. Aber auch hier waren die Wände glatt und die Decke wurden von mächtigen, verzierten Säulen aus Fels getragen. Etwas weiter hinten entdeckte er den Eingang zu einer kleineren Höhle, in der es eine Treppe gab, die derjenigen glich, über die er die Kaverne erreicht hatte.  ………………………………….