Auszug aus dem Kapitel „Das Dorf in den Bergen“

…………………………………………    Fanir hatte Zeit und ließ seinen Blick über die tiefen, von leichtem Dunst verhangenen Täler schweifen, die im Norden, Süden und Westen von seinem Standort aus einsehbar waren. Bis weit die steilen Hänge hinunter zogen sich dunkle, alte Tannenwälder, die erst am Talboden langsam mit Laubbäumen durchsetzt waren. Überall auf den Hängen fanden sich alte, mittlerweile stark bewachsene und zerfallene Ruinen in den Wäldern, die einen nur noch schwachen Eindruck von der früheren Größe und Pracht von Hornstadt vermittelten. Im Osten der heutigen Stadt führte ein schmaler, steiniger Weg an einer hohen Felswand entlang zum Gipfel des „Horn“, in dessen Windschatten die Stadt geschützt vor den Witterungseinflüssen des Hochgebirges war. Das „Horn“ hatte dem Gebirge auch seinen Namen weitergegeben und es wurde auf ganz Tarris als die „Hornberge“ bezeichnet. Der Weg war unter großen Beschwerden angelegt worden und lange Strecken von ihm waren tief in die Felswand hineingegraben worden. Er schraubte sich in engen Kurven schlangenartig bis fast zum Gipfel empor, der 700 Mannlängen über der Stadt thronte. Fanir war den Weg schon tausende Male hinaufgeklettert. Es war die Pflicht der Kinder des Dorfes, mit Vollendung des zehnten Lebensjahres bei seiner Bewachung zu helfen.

Am Ende des Weges befand sich ein langer Tunnel, der unterhalb des Gipfels den Berg durchbohrte und auf der anderen Seite auf einer natürlichen Plattform endete, die im Laufe der Jahrzehnte zu einer kleinen Festung ausgebaut worden war. Sie befand sich direkt über der einzigen breiteren Straße, die von Pferden und Planwagen genutzt werden konnte, um das Dorf zu erreichen. Ein langes Wegstück der Straße, die den Beginn des Kaiserwegs nach Süden darstellte, konnte von der Plattform aus eingesehen werden, so dass mögliche Feinde frühzeitig identifiziert werden konnten. Die Bewohner der Stadt hatten an den Rändern der Plattform unglaubliche Mengen von Felsbrocken aufgetürmt, die im Falle eines Angriffes dazu genutzt wurden, Angreifer unter Stein- oder Schneelawinen zu begraben. Diese Verteidigungsmaßnahme wurde vor 120 Jahren das letzte Mal eingesetzt. Das Volk der Jorka, das seit undenklichen Zeiten die Bergdörfer heimsuchte und plünderte, wurde zu einem großen Teil unter den Lawinen begraben. Ein Junge im Alter von 14 Jahren, im gleichen Alter wie Fanir, entdeckte damals die auf der steilen Straße heranziehenden Jorka und löste die Lawinen aus. Seit dieser Zeit bewachen die Kinder die Straße – und erklimmen den Pfad. Aber auch fürchten sich die Einwohner des Dorfes immer noch davor, dass die Jorka eines Tages zurückkehren.

Fanir vertrieb die Gedanken an Stadt und Geschichte aus seinem Kopf und machte sich auf den Weg zum Trainingsgelände. Als Sohn eines Lords des Vandor-Geschlechtes hatte er kaum eine Wahl. Er musste pünktlich erscheinen oder hatte mit drakonischen Strafen zu rechnen. Aber Fanir wollte sich auch nicht verspäten. Er liebte das Training, insbesondere der Schwertkampf begeisterte ihn. Er nutzte jede freie Minute, um das im Training Gelernte zu verinnerlichen und sich zu verbessern. Das häufige Üben hatte dazu geführt, dass er für sein Alter bereits über große Kraft verfügte. Gepaart mit der Schnelligkeit und Gewandtheit, die alle Mitglieder seiner Familie auszeichnete, machte ihn dies bereits in seinen jungen Jahren zu einem ernstzunehmenden Kämpfer. Es führte jedoch dazu, dass nicht alle seiner Trainingspartner ihn liebten.  …………………………………………