Auszüge aus dem Kapitel „Das Turnier“

…………………………………………  Seine Magie basierte nicht auf dem Metall, das aus der Sonne auf die Erde geschleudert wurde, sondern nur auf seinen eigenen Fähigkeiten. Er war anders – so wie Maurah, wie er glaubte, aber nicht wusste. Auch magisch modifizierte Waffen unterlagen nicht der weit verbreiteten Magie, sondern bezogen die Kraft, die ihnen vor langer Zeit gewährt worden war, andauernd aus sich selbst.

Lortir reichte ihm die Rüstung. Sie war alt, aber in einem tadellosen Zustand. Darüber hinaus war sie kostbar. Die Rüstung stammte der Legende nach aus der Zeit, als das alte Wissen um die Schmiedekunst noch nicht verloren war, jedoch das neue Wissen um die Magie und die dauerhafte magische Verstärkung von Rüstungen bereits in die Schmiedekunst Einzug gehalten hatte. Allerdings war die Rüstung immer noch deutlich zu groß für Fanir. Sie wurde für einen ausgewachsen Krieger gefertigt. Fanir sah ein wenig verloren in ihr aus. Behindert in seinen Bewegungen wurde er jedoch nicht, da sich die Rüstung wie ein lebendiges Wesen seinem Körper anzupassen versuchte. Die ganze Rüstung – jeder einzelne Ring des Kettenhemdes – war mit schwarzer Farbe bemalt, um zu verbergen, dass sie aus Metallen des vorhergehenden Zeitalters bestand. Er durfte die Rüstung im Turnier nur verwenden, weil sie leichter als Leder war. Das Gewicht war der Maßstab, wann eine Rüstung als leichte, für das Turnier zugelassene Rüstung zählte. Auf seiner Brust prangte das alte Wappen seiner Familie. Im Zentrum des Wappens war Sol als goldener Stern abgebildet. Von Sol gingen feine goldene Strahlen in Richtung eines ebenfalls goldenen Schwertes auf der einen Seite und in Richtung eines silbern strahlenden, stilisierten Homuae als Zeichen für Magie auf der anderen Seite. Fanir nahm das Schwert entgegen. Es war eine Nachbildung des Schwertes, das er von seinem Vater geerbt hatte und das seit langer Zeit in seiner Familie von Vater zu Sohn weitergegeben wurde. Niemand wusste, dass es in seinem Besitz war und er hatte es nach der Herstellung der Kopien niemals wieder aus seinem Versteck hervorgeholt. Die Kopie, die er nun nahm, war in Hinblick auf Gewicht und Ausgewogenheit mit seinem eigenen Schwert identisch. Auch wenn Fanir noch nicht seine Ausbildung als Schwertkämpfer abgeschlossen hatte, nahm er bereits sehr genau Gewicht, Balance und Eigenschaften eines jeden Schwertes wahr. Daher war es ihm sehr wichtig, dass die Schwertkopien seinem Schwert in dieser Hinsicht entsprachen. Zuletzt nahm er den Fangdolch. Dann war es an der Zeit, sich zum Kampfplatz zu begeben. Lortir begleitete ihn.

Der Kampfplatz lag im Zentrum der vielen Stände des Erntefestes. Gerüche strömten von den Gewürzständen der Händler und den Ständen der Köche in die Arena. Die Stimmung war hervorragend und überall wurde über die vergangenen Kämpfe geredet. Getränke wurden gereicht und Wetten wurden abgeschlossen, wer im heutigen Kampf wohl erfolgreich sein würde. Die kleine Arena wurde von hohen, aus Holz gebauten Tribünen umrahmt. Fast fünftausend Zuschauer fanden auf den Tribünen Platz und konnten so die Kämpfe gut beobachten.

Der Kampfplatz selbst bestand aus einer dünnen Sandschicht, die kreisrund mit einem Durchmesser von zwanzig Schritt zwischen den Tribünen angeschüttet war. Da die Teilnehmer des Wettkampfs aus allen Stämmen der Bergvölker ausgewählt worden waren, waren sehr viele Gäste und Zuschauer in der kleinen Stadt. Die Regeln für den Kampf waren sehr einfach: Alles war erlaubt. Gewonnen hatte derjenige, der seinen Gegner zuerst dreimal in die Knie gezwungen oder ihn über die Begrenzungslinie der Arena getrieben hatte. Aufgeben war ebenfalls möglich. Um aufzugeben, musste die eigene Waffe über die Begrenzungslinie der Arena geworfen werden. Selbstverständlich durfte ein am Boden liegender Kämpfer nicht mehr attackiert werden. Geschah dies, wurde der Angreifer mit hohen Strafen belegt und zum Verlierer erklärt. Der Kampf wurde von drei Schiedsrichtern und dem Magae überwacht. Sollte ein Kämpfer verletzt sein und sich nicht mehr erheben können, würden sie den Kampf zugunsten des Gegners abbrechen.

„Kämpfe weise und mit Glück“, wünschte Lortir, als Fanir in die Arena ging. Karor hingegen hatte die Arena noch nicht betreten, so dass Fanir Gelegenheit hatte, einen Blick auf die Tribünen zu werfen. Die Zuschauer wirkten überaus interessiert und ein lauter Jubel brandete auf, als er den Kampfplatz betrat. Ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken, als ihm noch einmal bewusst wurde, wie weit er im Turnier bereits gekommen war und dass viele der Homuae auf den Tribünen ihm zujubelten. „Ich darf nicht verlieren!“, dachte er. „Karor hat es einfach nicht verdient, zu gewinnen. Er kämpft unfair.“ Aus der Gänsehaut auf seinem Rücken wurde eine wohlige Wärme, die durch seinen Körper strömte. Ein erstes Zeichen der Magie, die sich seinen Körperkräften hinzugesellte. Sofort versuchte er, die Kräfte zu unterdrücken und blickt zum Magae, der ihm im Moment seine ganze Aufmerksamkeit widmete. Er vermittelte nicht den Eindruck, als wenn er die Veränderung bemerkt hätte. Fanir überlegte, wie er mit dieser „Nichtreaktion“ umgehen sollte und ließ die Magie vorsichtig in seinen rechten Arm strömen und schlug mit dem Schwert drei komplizierte Kombinationen gegen einen nicht vorhandenen Widersacher. Der Magae zuckte mit keiner Wimper und sein Gesichtsausdruck blieb aufmerksam – aber unverändert.

Karor trat aus seinem Zelt. Er blickte siegesgewiss zum Kampfkreis. Als seine Augen in dem runden Gesicht, das unter einem kahl rasierten Schädel lag, sich auf Fanir richteten, verzogen sich seine Mundwinkel herablassend nach unten. Er wandte sich zum Publikum, hob die Arme in Richtung Himmel – in seiner Linken der außergewöhnlich lange Zweihänder – und rief laut: „Ist es wirklich nötig, dieses Kind zu verprügeln? Was denkt Ihr?“. Von den Tribünen war vereinzelt, dafür aber umso lauter Gelächter zu hören. Auch Karor hatte Freunde und Anhänger im Publikum, die ihn unterstützten. Er näherte sich langsam und grinsend dem Kreis und übertrat die Linie. „Welchen Knochen soll ich Dir heute brechen?“, wandte er sich an Fanir und nahm dabei seinen Zweihänder in beide Hände und führte das Schwert in eine Angriffshaltung über die rechte Schulter. „Einen Moment – erst eine standesgemäße Begrüßung, bitte!“ rief einer der Kampfrichter. Karor baute sich daraufhin vor Fanir auf und stütze beide Arme auf den mächtigen Zweihänder, den er vor sich in den Sand bohrte. „Willkommen Karor – ich wünsche Dir einen guten Kampf ohne Verletzungen“, begrüßte ihn Fanir mit einer Verbeugung. „Selbstverständlich werde ich keine Verletzungen erleiden. Wie auch? Dafür fehlt Dir einfach die nötige Stärke, Kind. Jedoch solltest DU damit rechnen, verletzt zu werden. Ich werde keine Rücksicht auf Dein Alter nehmen – und nun lass uns endlich beginnen!“. Einer der Kampfrichter stellte sich – mit einem missbilligenden Stirnrunzeln seitlich neben Karor und Fanir und hob eine Hand in die Höhe. Bevor er die Hand als Zeichen für die Kampferöffnung senken konnte, trat Karor gegen Fanirs rechtes Knie.

Der Kampf hatte begonnen. Fanir sah den Tritt kommen. Er hatte mit unfairem Kampfverhalten gerechnet. Jedoch überstieg diese Aktion seine Ahnungen deutlich und Wut – und Wärme – breitete sich in ihm aus. Unbewusst zog er seine Beine in fast unglaublicher Geschwindigkeit vor seine Brust, so dass der Tritt unter ihm nur Luft traf. Er sah den Tritt wie in langsam ablaufender Zeit unter sich hindurch gleiten. Als Karors Bein gestreckt war, streckte Fanir seine eigenen Beine schnell in Richtung Boden und trat so seinerseits gegen Karors Oberschenkel, nutze diesen als Sprungbrett, um sich rückwärts in der Luft zu drehen und so Abstand zwischen sich und Karor zu bringen. In diesem Moment wurde ihm bereits bewusst, dass er ohne Absicht auf seine magischen Kräfte zugegriffen hatte. Auch wenn es niemand im Publikum bemerkt hatte, war aus seiner Erfahrung eine solch schnelle Bewegung, wie er sie soeben vollführt hatte, eigentlich nicht möglich. Sofort blickte er zum Magae, der aber durch nichts erkennen ließ, dass er den Einsatz magischer Kräfte bemerkt hätte. Fanir war verwundert. Seine Magie war stark gewesen und der Magae hätte etwas merken müssen! In diesem Moment traf ihn der Zweihänder seitlich gegen die Brust. Er hatte sich zu sehr auf den Magae konzentriert. Der Schlag war außerordentlich hart und trieb ihm die Luft aus den Lungen. Gleichzeitig breitet sich ein starker Schmerz in seiner Brust aus, der seinen Ursprung in den oberen linken Rippen hatte – mindestens eine war gebrochen. Auf Karors Gesicht breitete sich ein brutales Grinsen aus. …………………………………………

…………………………………………  Fanir unterdrückte die Tränen, als er an die letzten Momente dachte, die er mit seinem Vater verbringen konnte. Sie waren gemeinsam in den Wäldern unterwegs gewesen; es war früher Morgen. „Wir waren auf der Jagd. Es war erst mein zweiter Jagdausflug und Vater brachte mit das Bogenschießen bei. Wir hatten noch keine Rehe gesehen und ich versuchte, auf einen weit entfernten Strohballen zu schießen, der noch von der letzten Ernte übrig geblieben und vergessen worden war. Obwohl es schon Herbst war und die Bäume bunte Blätter hatten, war es ein warmer Morgen. Vater machte sich über mich lustig, weil ich kaum bis zu dem Strohballen schießen konnte. Er war zu weit entfernt für mich. Da hörten wir auf einmal dieses Schnattern und Klappern.“ Die Augenbrauen von Gandaros zogen sich in die Höhe, als wisse er, was nun passieren würde. „Sie kamen von allen Seiten, es waren mehr als zehn. Vater zog sofort sein Schwert. Sie sahen aus wie riesige Termiten, fast so groß wie ein großer Hund, und griffen meinen Vater von allen Seiten gleichzeitig und ohne zu zögern an. Er kämpfte wie ein Wilder, aber er hatte keine Chance. Auch wenn er sehr stark und ein hervorragender Schwertkämpfer war, konnte er kaum eines dieser Tiere verletzten. Ihre Panzer waren zu hart. Er schrie mir zu, ich solle um mein Leben laufen – so schnell und solange ich nur könne. Ich zögerte erst und sah ihn blutüberströmt zusammenbrechen. Die Tiere hatten sichelförmige Kiefer und bissen immer weiter auf ihn ein. Da rannte ich los. Nach einigen hundert Schritten blieb ich stehen und sah mich um, um zu schauen, ob Vater es doch noch geschafft hätte. Dies war ein Fehler. Zwei Termiten hatten mich verfolgt und waren kurz hinter mir. Sofort rannte ich weiter und spürte kurz darauf einen heftigen Schmerz im Bein. Eines der Tiere hatte mich erwischt und hing an meinem Bein. Da geschah es das erste Mal …...“

Wieder zuckten die Augenbrauen von Gandaros in die Höhe. „Was ist passiert? Wie bist Du entkommen? Fanir zögerte. Er hatte noch nie zu jemandem darüber gesprochen. Und Gandaros war eigentlich ein Fremder, den er erst gestern das erste Mal gesehen hatte. „Was ist passiert?“, wiederholte Gandaros; er klang fast schon ungeduldig. „Auf einmal spürte ich diese Wärme. Sie strömte aus meinem Brustkorb in meinen ganzen Körper. Die Schmerzen, die durch den Biss verursacht worden waren, verschwanden fast augenblicklich und ich fühlte mich so gesund und stark wie nie zuvor in meinem Leben. Ich riss an den Zangen des Tieres, mit denen es mich gepackt hatte und brach sie aus dem Kopf heraus. Sofort rannte ich weiter. Ich rannte so schnell und so lange wie nie zuvor in meinem Leben und hielt erst an, als ich eine Straße erreichte, auf der ein Planwagen fuhr. Sie brachten mich zurück nach Hornstadt. Vater kam nicht mehr.“ ……………………….