Auszüge aus dem Kapitel „Eisland“

 ………………………  Trotz des Windes war es ein schöner Tag und Sol glitzerte und funkelte im Schnee, der alles unter einer dichten weißen Decke begrub. Außer dem Pfeifen des Windes gab es keine wahrnehmbaren Geräusche. Karameen war auf sich alleine gestellt und befand sich mitten im östlichen Gebirge von Eisland. Auch wenn der Schnee hoch lag, war doch der Weg zu erkennen, der von diesem Ort in Richtung Westen führte. Er lief in vielen Serpentinen bis ins Tal und folgte diesem in Richtung Nord-Westen.

Karameen wandte den Blick von dem Weg ab und drehte sich, um den Ort zu betrachten, von wo aus sie gekommen war. Das Tor war nach wie vor offen und sie konnte Meister Goldhorn sehen, der ihr zuwinkte. Sie erwiderte den Gruß, um zu zeigen, dass alles in Ordnung sei. Dann ging Goldhorn auf das Tor zu und das letzte, was sie von ihm sehen konnte, war seine Hand, die zum Rand des Tores langte. Dann verblasste das Bild und löste sich in Luft auf. Kein Schleier blieb zurück, wie es auf der anderen Seite der Fall gewesen war. Sie blickte auf das Tor und stellte fest, dass keiner der für die kleinen Figuren reservierten Plätze belegt war. Im Moment war dieses Tor nur noch ein hübsch verziertes Metallgestell, das in einer tiefen Nische im Berg eines unwegsamen Gebirges lag.

 Karameen betrachtet die Berge und versuchte, Eiszahn zu entdecken, um sich in dieser Schneelandschaft orientieren zu können. Eiszahn war der mit Abstand höchste Berg im östlichen Gebirge und hatte die Form eines Schneekatzen-Fangzahnes. Er war von weitem zu erkennen. Da sie ihn trotz ihrer erhöhten Position nicht sehen konnte, musste er hinter ihr zwischen dem Tor und dem Meer liegen. Dies bedeutete, dass sie sich eher am Rand der Berge befand und der Pfad im Tal in die Richtung führte, in der auch ihr Ziel Eisfeste liegen musste. Sie straffte ihre Schultern und begann mit dem Abstieg durch den tiefen Schnee, der ihr fast bis an die Hüfte reichte – jedoch nicht ohne zuvor die Schneeschuhe überzuziehen, die Goldhorn ihr in den Rucksack gepackt hatte. Auch mit den Schuhen war es immer noch anstrengend, aber sie sank kaum noch ein.

Sol hatte bereits seinen höchsten Punkt am blauen Himmel hinter sich gelassen, als sie auf die Spitze von Eiszahn aufmerksam wurde, der noch weiter hinter ihr lag, als sie vermutet hatte. Dies bedeutete, dass sie Eisfeste zwar nicht in einigen Stunden, aber in wenigen Tagen erreichen konnte. Sie hatte tatsächlich sehr viel Zeit eingespart. Wenn weitere Tore funktionsfähig waren, würde das Reisen auf Tarris in Zukunft deutlich einfacher und schneller werden. Und falls es zu einer Auseinandersetzung kommen sollte, könnten Truppen schnell von einem Ort an den anderen verlegt werden. Dies wäre ein immenser logistischer Vorteil! Karameen dachte weiter darüber nach, wie die Tore genutzt werden könnten, während sie mit ihren Schneeschuhen über den Schnee stapfte.

Eine Bewegung ein gutes Stück vor ihr riss sie aus ihren Gedanken. Sie blieb auf der Stelle stehen und blickte regungslos in die Richtung, wo sie die Bewegung gesehen hatte, konnte jedoch nichts entdecken. Gerade als sie weitergehen wollte, kam die Schneekatze aus der Deckung eines Felsens hervor. Sie hatte Karameen nicht gesehen und schlich auf der Suche nach Beute elegant zwischen den Felsen umher. Dann wurde Karameen auch auf die Beute aufmerksam. Am Hang des Berges auf der rechten Seite des Tales befand sich eine kleine Herde Gämsen, die den Schnee auf der Suche nach Nahrung durchwühlten. Die Schneekatze hatte den letzten Felsen, der ihr Deckung gab, erreicht. Er lag ungefähr zwanzig Schritte von der Herde entfernt. Auch wenn Karameen noch ein gutes Stück entfernt war, konnte sie erkennen wie das große Raubtier die Muskeln spannte. Die Katze machte einen Satz auf den Felsen und von dort aus einen gewaltigen Sprung in Richtung der Herde. Sofort stoben die Gämsen in verschiedene Richtungen auseinander, aber ein Jungtier reagierte zu spät. Die Katze begrub die Gämse unter sich und tötete sie mit einem Biss.

Karameen beobachtete die Schneekatze bei Ihrem Mahl. Schneekatzen waren gefährliche Raubtiere, aber es gab kein Lebewesen, das sich so schnell und so elegant im tiefen Schnee und in dem unwegsamen Östlichen Gebirge bewegen konnte. Vorsichtig nahm Karameen den Rucksack von ihren Schultern und suchte in seinen Tiefen das Hynaskraut, das sie immer mit sich führte. Die Wirkung setzte schnell ein, nachdem sie ein wenig davon gegessen hatte. Sie konzentrierte sich auf die große Schneekatze und machte das Raubtier gefügig. Sie wusste, dass dies ein gefährliches Spiel war. Sobald ihre Konzentration nachlassen würde, wäre die Raubkatze ein überaus gefährlicher Gegner. Schnell ging Karameen auf das Tier zu, dessen Schultern sich in Höhe ihres Kopfes befanden. Erneut beruhigte sie die Schneekatze mit ihrer Magie und schwang sich dann auf den Rücken des Tieres. Es war einfacher als erwartet. Die Schneekatze leistete keinen Widerstand. Karameen blieb geduldig auf dem Rücken des Tieres sitzen, bis sie spürte, dass es sich satt gefressen hatte. Dann lenkte sie es mit Ihren Gedanken auf den Weg zurück und ließ es Geschwindigkeit aufnehmen. Die Schneekatze sank mit ihren breiten Pfoten kaum in den hohen Schnee ein und legte ein unglaubliches Tempo vor. Schneller, als es mit jedem Pferd möglich gewesen wäre, flog Karameen durch die Gebirgslandschaft aus Eis und Schnee.

Sie hatte keinen Schlaf finden können, aber bereits am Mittag des nächsten Tages konnte sie in der Ferne die Silhouette der hohen Türme von Eisfeste erkennen, die sich aus der Ebene hinter den Ausläufern des Östlichen Gebirges erhob. Sie hatte nur noch diesen letzten langen Hang und einige Stunden in der eisigen Ebene vor sich, bevor sie die Stadt erreichen würden. Ihr bot sich ein fantastisches Bild. Sol stand fast genau hinter ihr und ließ die Ebene mit ihren ständigen Stürmen, die Eiskristalle in die Luft wehten, glitzern und glänzen, als wenn sie in einem kalten, blauen Feuer brennen würde. Karameen war von dem Naturschauspiel fasziniert, bis sie rechts von sich eine schmutzig-weiße Masse bemerkte, die sich in Richtung Eisfeste bewegte. Auch die Schneekatze blickte in diese Richtung und Karameen konnte ihre Angst spüren, die sie bei diesem Anblick hatte. Karameen glaubte zu wissen, was dies bedeutete und trieb ihr Reittier zu äußerster Eile an.  ……………………………

…………………………………………  Illuak, der die Verteidigung von Eisfeste als Heerführer leitete, Malirak, der bereits einen einfachen schwarzen, neuen Stein an Sonnengluts Stelle in seiner Krone hatte, um Fragen aus dem Weg zu gehen und Karameen, an deren Hals Sonnenglut an einer neu gefertigten, grauen Metallkette hing, standen nebeneinander auf der Mauer und blickten nach Nordosten. Die Armee der Eisriesen war bereits mit bloßem Auge zu erkennen und wirbelte bei ihrem Näherkommen eine gewaltige Wolke staubigen Schnees auf, der den blauen Himmel fahl erscheinen ließ. Da die Mauer hoch war und sich in der Ebene kaum Erhöhungen befanden, konnten sie die gewaltige Größe der Armee gut erkennen. Alleine die vorderste Reihe der näher kommenden Riesen erstreckte sich über viele hundert Schrittlängen. Auf der Mauer selbst wimmelte es von Eskimaten, die in Rüstungen aus grau-schwarzem Metall steckten und die Verteidigung von Eisfeste vorbereiteten. Die Mauer war über ihre gesamte Länge fast dreißig Schritte breit, so dass genug Platz für schweres Kriegsgerät auf Ihr war. Im Abstand von ungefähr fünfzehn Schritten befanden sich über die Mauer verteilt Feuerstellen, auf denen große Bottiche mit heißem Öl vor sich hin köchelten. Ersatzbottiche wurden von jeweils sechs Eskimaten auf Tragegestellen ununterbrochen herangeschafft. Zwischen jeweils zwei Feuerstellen befanden sich übergroße Bolzenschleuderer, die an alte Armbrüste erinnerten und drei Pfeile in Eskimatenlänge gleichzeitig verschießen konnten. Sie befanden sich auf komplizierten drehbaren Gestellen und verfügten über Zielfernrohre. Der Gegner befand sich noch weit außer Reichweite der Bolzenschleuderer, als Illuak seine Hand hob und kurz darauf Hörner erschallten, die das Zeichen zum Angriff für 3.000 Eskimaten gab, die sich zusammen mit gezüchteten, zahmen Schneekatzen durch Gänge unter dem Eis in den Rücken der Eisriesen-Armee geschlichen hatten. Es gab viele dieser Gänge, durch die sich die Eskimaten auch reitend bewegen konnten, die aber zu klein für Eisriesen waren. 

Cikuq aus dem Adelshaus Iluken schaute auf die Aufstellung seiner Reiterei, die langsam den Eisriesen folgte und sich dabei ständig dem Feind näherte. Die Schneekatzen nutzten jede Deckung und ließen sich sogar einschließlich Reiter tief in den Schnee sinken, um so lange wie möglich unerkannt zu bleiben. Zusammen mit dem Schneestaub, den die Eisriesen aufwirbelten, war es fast unmöglich, sie zu erkennen. Auch die schmutzig weiße Tarnkleidung, die die Krieger über die grauen Rüstungen gezogen hatten, trug ihren Teil dazu bei. Cikuq hörte den dunklen Schall der Hörner und hob ebenfalls seinen Arm. Lautlos nahm seine Schneekatze Geschwindigkeit auf. In leichtem Versatz folgten jeweils die Nebenleute, so dass sich ein spitzes Dreieck bildete. Vier Reihen von Eskimaten auf Schneekatzen folgten hintereinander und rasten ohne Geräusch durch den Schnee auf die Riesen zu. Jeder der Eskimaten hatte eine kleine Version der Bolzenschleuderer auf den Mauern in den Händen und lenkte seine Schneekatze mit den Schenkeln. Als der Abstand zu den Eisriesen noch 100 Schritte betrug, hob Cikuq erneut den Arm und die große Schlacht um Eisfeste begann.

9000 Bolzen wurden abgefeuert und rasten in die Rücken der Riesen, die bis zu diesem Moment nicht bemerkt hatten, dass ein Angriff in ihre Nachhut erfolgte. Hunderte Riesen wurden verletzt oder starben, als die Bolzen den leichten Rückenschutz durchschlugen und sich in die Riesen bohrten. Ströme von Blut flossen und die Schneekatzen nahmen die Witterung auf und wurden in ihre gefährliche Kampfesstimmung versetzt. Die hundert Schritte bis zu den Riesen bewältigten die Katzen in nur wenigen Sekunden und die Eskimaten fanden kaum Zeit, die Bolzenschleuderer gegen Schwert und Schild zu tauschen.  …………………………………………