Auszüge aus dem Kapitel „Landona“

…………………………………………… Sol hatte sich schon lange hinter den Horizont verzogen, als Karrsa und Gannio die kleine Bucht erreicht hatten, die ihr Ziel war. Sterne spiegelten sich im Wasser des Fjords und die Schiffe der Korsaren wirkten wie schwarze Schatten in der Dunkelheit. Kleine Wellen rollten auf den Kies der Bucht und plätscherten leise, aber ständig vor sich hin. Karrsa schuf das Muster und nur Augenblicke später waren die Magae erneut vereint. Sie hatten währende ihrer Reise häufig geübt und die Verbindung kam mittlerweile fast so schnell zustande wie Karrsa es nur für ein Schwarmbewusstsein für möglich gehalten hätte. Sie hatten intensiv geübt, wie sie die hervorragenden Eigenschaften eines jeden Artefaktes durch die anderen unterstützen konnten und waren dazu weit besser in der Lage als noch bei der Schlacht vor dem Tarutos.

Sie spürten alle, wie Gannio ihre Magie auf die Berge am Ende des Fjords schickte und dort einen leichten Fallwind erzeugte, der über das Wasser in Richtung offenes Meer wehte. Es dauerte einige Minuten, bis die langen Haare von Maurah sich leicht im Wind zu bewegen und die Blätter der Bäume zu rascheln begannen. Langsam wurde der Wind stärker und die Geräusche der an Tauen ziehenden Boote und Schiffe drangen über das Wasser zu ihnen hinüber. Donner sog feuchtere Luft aus allen Richtungen heran und immer mehr dunkle Wolken zogen sich über der Brücke zwischen den Festungen und dem Fjord zusammen. Goldstein spürte die zunehmende Ladung der Luft und plötzlich ließ sie – fast spielerisch – einen hellen Blitz über den Himmel zucken. Karrsa konzentrierte sich auf das Wasser und ließ die Magie der Magae ebenfalls nach Norden an das Ende der Stadt wandern. Leichte Strudel bildeten sich dort, die schneller und schneller zu rotieren begannen.

Es ist soweit“, sandte Karrsa einen klaren Gedanken an die Arbeiter und die Krieger der Karrsaraia und auch an seinen neuen Schwarm, an Maurah, Goldstein, Maranda, Gannio und Fanir. Dann explodierte der Fjord im Chaos. Es gab ein leichtes Rumpeln im Boden, das stärker und stärker wurde, als die Hügel unter den Festungen zusammenbrachen und in das Wasser rasten. Wie von einer unsichtbaren Hand gehalten schien die gewaltige, überdachte Brücke, die sich in einem Bogen von Festung zu Festung zog, in der Luft zu hängen und sackte dann in die Tiefe. Erste laute Entsetzensschreie ertönten, als das Wachpersonal dem Tod entgegenstürzte. Fast gleichzeitig griffen Karrsa, Gannio und Goldstein in das Geschehen ein. Die Strudel im Wasser des Fjord stoppten ihre Bewegung von einem Moment auf den anderen und türmten sich zu einer riesigen, fast zehn Homuae hohen Welle auf, die erst langsam, dann aber durch einen gewaltigen Sturm beschleunigt, auf die Schiffe der Korsaren zuraste. Die Welle, die durch die herabstürzenden Felsmassen entstanden war, übertraf selbst die durch die Magie geschaffene Flut und türmte sich weit höher auf. Zwei riesige Fäuste aus Wasser rasten auf die Schiffe zu, als die Blitze einsetzten und Schiff um Schiff in Brand steckten. Weiße Gischt spritzte trotz der Dunkelheit deutlich sichtbar an den Felswänden des Fjords empor und brodelnde Wassermassen rasten mehr als haushoch an Gannio und Karrsa vorbei – ohne sie auch nur mit einem Tropfen zu befeuchten.

Munno, Kapitän des dritten Kampfverbandes der Flotte und Hauptmann des neunten Bataillons in Totenkopffeste, befand sich im Wachturm seiner Kaserne, der einen hervorragenden Ausblick auf den Fjord bot. Er wollte sich das Gewitter anschauen, das sich soeben mit ersten Blitzen angekündigt hatte, als plötzlich Schreckensschreie aus dem Kasernenhof hinter ihm ertönten. Munno blickte in den von vielen Fackeln erleuchteten Hof und sofort stellten sich seine Nackenhaare auf und seine Augen weiteten sich. Im Kasernenhof befanden sich mehrere große Löcher, aus denen in einem unablässigen Strom Hunderte der riesigen Ameisen quollen, die sie in den letzten Wochen in den Wäldern gejagt hatten. Ihre Chitinpanzer glitzerten schwarz im Licht der Fackeln. Die wenigen Wachen, die dort unten zu dieser Tageszeit den Kaserneneingang überwachten, wurden von den schwarzen Monstern überrannt und zerfleischt. Er konnte genau sehen, wie die großen Scheren am Kopf der Tiere seine Wachen in kleine Stücke zerlegten, um anschließend mit der Beute zu den Löchern zurückzukehren. „Sie haben den Spieß umgedreht! Nun sind wir die Gejagten!“, dachte er, als sah wie die Ameisen zielstrebig in die Kasernengebäude eindrangen. Gerade wollte Munno zur Glocke laufen, um Alarm zu schlagen, als die ersten Ameisen den Wachturm erklommen hatten und auf ihn zukamen. Er zog sein Schwert.

Fanir beobachtete, wie die aufgetürmten Wassermassen immer schneller auf die Schiffe der Korsaren zurasten, auf die nach wie vor unablässig gleißende Blitze zuckten. Überall brannten hell lodernde Feuer auf den Decks und tauchten den Fjord in ein gespenstisches Licht. Es waren hunderte von Schiffen, aber sie wirkten wie Spielzeug im Vergleich zu den riesigen Wellen. Der Aufprall war gewaltig und zerfetzte die Schiffe. Masten wurden geknickt wie kleine Zweige und wurden durch Wasser und Luft gewirbelt. Die Feuer erloschen von einem Moment auf den anderen und der Lärm des brechenden Holzes war selbst hier oben auf der Klippe deutlich zu hören. Keiner der Korsaren auf den Schiffen würde diesen Aufprall überleben. Dann beruhigte sich das Wasser und die Wolken lösten sich auf; die Sterne kamen hervor und sorgten für Licht. Der Fjord, der nun vom Meer getrennt und zu einem See geworden war, plätscherte wieder leise und ruhig vor sich dahin. Jedoch konnte Fanir kein einziges der Piratenschiffe auf dem Wasser entdecken! Dafür trieben die Reste der Schiffe an der Wasseroberfläche, soweit das Auge reichte. .............................

.................... Seit Stunden waren sie auf der Flucht. Der Wald hatte sich verändert und war lichter geworden. Überall standen nun die silbernen Bäume des Weltenwaldes und die Magae spürten eine freundliche Art von Magie um sich herum. Fanir, der an der Spitze ritt, zügelt Ruki, als sie die Kuppe eines felsigen Hügels erreicht hatten und blieb stehen. Die Pferde waren schweißüberströmt und Blauschimmers schwarze Zunge hing aus seinem Maul, während er nach Luft hechelte. Trotz der Bäume konnten sie von der Kuppe das Umland gut überblicken. „Ich denke, wir haben das Waldland erreicht“, sagte Gannio. „Spürt Ihr diese Freundlichkeit, die uns umgibt?“ Die anderen nickten zustimmend und blickten auf das silberne Blätterdach, das sich im Osten, Norden und Süden unter ihnen erstreckte. Weit im Süden konnten sie das Meer erahnen, aber im Osten und Norden schienen der Wald nicht zu enden. Dann blickten sie suchend in die Richtung, aus der sie gekommen waren – und entdeckten in einiger Entfernung, aber deutlich sichtbar schwankende Bäume. Das Tier war ihnen gefolgt und sie hatten es trotz des hohen Tempos, mit dem sie geritten waren, nicht abschütteln können. „Verdammter Mist“, flüsterte Goldstein. „Was sollen wir tun?

Fanir zog Sternenstaub und auch die anderen zückten ihre Waffen. Maranda blickte skeptisch auf die Waffen. „Wenn wir kämpfen, wird dies nicht ohne Verletzungen für uns ausgehen. Dieses Monster ist ein ernst zu nehmender Gegner.“ Sie runzelte nachdenklich die Stirn, soweit dies bei einer geschuppten Stirn möglich war. „Ihr wisst, dass Neue Drachen gegenüber einem guten Kampf nicht abgeneigt sind, aber ich glaube, es wäre besser, eine Falle zu bauen, solange unsere Magie durch das Tier nicht beeinflusst wird.

Das ist eine gute Idee!“ Glockengleich erklang die Stimme hinter ihnen und plötzlich standen dort zwei Fellen, die in eng anliegende, silbergraue Hosen und Jacken gekleidet waren. Sie schienen mit den Bäumen zu verschwimmen und waren auch jetzt, wo sie sich zu erkennen gegeben hatten, nur schwer zu sehen. Die Kleidung war eine hervorragende Tarnung und selbst die großen Langbögen entsprachen der Farbe des Waldes. „Seid willkommen im Waldland der Fellen, junge Magae. Dies hier ist Eupha und ich bin Apono. Unsere Königin Ephana bat uns, Euch zu suchen und nach Landona zu bringen. Wir leben in gefährlichen Zeiten“, er blickt den Weg hinunter, den die Freunde gekommen waren, „und der Wald täuscht Fremden falsche Wege vor. Wer sich hier nicht auskennt, wird sich schnell verirren. Zudem treiben sich Wesen im Wald herum, die hier nicht willkommen sind und hier nicht sein dürfen. Aber bevor wir weiter reden, baut Eure Falle – und baut sie tief! Wir werden dafür Sorge tragen, dass Dakarons Monster sie nicht verfehlen kann! Bis später.“ Mit diesen Worten verschwanden die beiden zwischen den Bäumen und es war unmöglich, ihnen mit den Augen zu folgen. Plötzlich hörten sie um sich herum leises rascheln, das sich schnell nach Westen entfernte. Fanir blickte die anderen an. „Habt Ihr das gehört? Da müssen noch viele von ihnen im Wald gesteckt haben!

Die Falle war nicht zu erkennen. Stolz grinsten sich die Freunde an. Sie hatten ein fast zehn Homuae-Längen tiefes und genauso breites Loch geschaffen, dessen Wände nach oben hin aufeinander zuliefen und mit glattem Plastels überzogen waren. Wer dort unten war und nicht fliegen konnte, würde die Falle nicht ohne Hilfe verlassen können. Sie standen wieder auf dem Hügel und blickte auf die Stelle, an der sich am Fuße des Hügels die Falle befand. Es war nicht zu erkennen, dass dort ein gefährliches Loch verborgen war. Selbst die Spuren, die ihre Reittiere in dem von Steinen durchsetztem Lehm des Weges hinterlassen hatten, liefen über der Falle weiter. Das Tier befand sich noch außer Sichtweite, aber hier und da verriet ein Knacken von Holz, dass es sich näherte.

Was dann geschah, war schlicht unglaublich. Zuerst hörten sie ein leises, saugendes Geräusch. Es hörte sich an, als wenn ein Fuß aus einer Matschpfütze gezogen wurde. Und dann sahen sie die vorsichtigen, langsamen Bewegungen der Bäume. Sie zogen einzelne Wurzeln aus dem Erdreich und setzten sie ein Stück weiter entfernt wieder in den Boden. Immer dickere Wurzeln wechselten an neue Stellen und immer schneller kamen sie aus dem Boden. Dann schoben sich die Bäume über den Waldboden auf die Falle zu und standen nur wenig später dicht an deren Rand und auch dicht zueinander. Sie bildeten ein undurchdringliches Dickicht. Auch weiter entfernt verschoben sich die Bäume in Richtung des Weges und bildeten einen Trichter, der das Monstrum genau auf die Falle führen würde. Die Magae sahen fasziniert auf das Schauspiel und bemerkten an und ab auch die huschenden, silbergrauen Schatten der Fellen, die zwischen den sich bewegenden Bäumen hin und her eilten.

Das riesige graue Tier trottete eher langsam den Weg entlang und hatte bereits den Anfang des Trichters hinter sich gelassen, als Maurah es bemerkte. „Dort!“, flüsterte sie. Sofort blickten alle zurück zum Weg. „Es ist wirklich groß!“, meine Goldstein. Dann hob Gannio den Arm und deutet hinter das Wesen. „Seht! Die Bäume schließen es ein.“ Tatsächlich begannen die Bäume den Eingang zu dem Trichter zu verschließen. Sie bewegten sich aufeinander zu und nur kurze Zeit später hatte sich ein gutes Stück hinter dem Monstrum eine dichte, silbern schimmernde Wand gebildet, wo vorher der Weg gewesen war. Und die Wand aus Bäumen folgte dem Wesen, das bisher noch nichts gemerkt hatte.

Geräuschlos tauchte Eupha zwischen den Bäumen rechts von ihnen auf, stellte sich zu den Magae und blickte zu dem grauen Ungeheuer hinunter. „Es kann nicht mehr entkommen.“ Als wenn das Tier den geflüsterten Satz gehört hätte, stoppte es plötzlich, hob den Kopf und schnüffelte geräuschvoll. Es wendete, blickte zurück und sah sich von undurchdringlichem Wald eingekesselt. Die gelben Augen funkelten und wütend rannte das Tier gegen die Bäume. Äste splitterten, aber die silbernen Stämme blieben unverrückt an Ort und Stelle. Zwei weitere Male rannte das Tier mit hoher Geschwindigkeit gegen die silberglänzende Wand, ohne irgendetwas zu erreichen. Dann wendete es wieder, hob den Kopf und sah die Magae auf dem Hügel. Mit einem markerschütternden Schrei rannte das Monstrum mit verblüffend hoher Geschwindigkeit auf den Hügel zu und hinterließ tiefe Spuren in dem lehmigen Weg. Langsam folgten die Bäume.

Dann schnappte die Falle zu. Die dünnen Äste unter der Lehmschicht brachen unter dem großen Gewicht und das Tier knallte, von der eigenen Geschwindigkeit getragen, gegen die vordere Wand der mit Plastels überzogenen Fallgrube. Ein hohes Quieken ertönte, das dann aber wieder von dem markerschütternden Gebrüll abgelöst wurde. Fast zwanzig der silbergrau gekleideten Fellen lösten sich nach und nach aus dem Wald und fanden sich auf dem Weg vor der Grube ein. Auch die Magae und Eupha begaben sich schweigend zum Grubenrand.

Die Fellen nickten ihnen zu, als sie die Grube erreichten und Apono zu ihnen trat. Fanir wandte sich an den Anführer. „Was machen wir nun mit diesem Vieh? Lassen wir es in der Grube?“ Apono blickte ihn traurig an. „Nein, wir werden es töten müssen. Mehrere von diesen Tieren sind mit den Homuae gekommen, die sich unserem Wald nähern. Dakarons Schergen setzten sie im Kampf ein und es sind zu gefährliche Kreaturen, als dass wir es am Leben lassen können. Der Wald wird es in sich aufnehmen.“ Verwirrt blickte Fanir den Fellen an, der nur lächelte und als Antwort auf den verwirrten Blick auf die Grube zeigte, in der das graue Monstrum tobte und schrie. Dicht unter der Bodenoberfläche begannen dünne Wurzeln durch das Plastels zu wachsen, das sich an den Stellen, wo die Wurzeln austraten, aufzulösen begann. Immer mehr und mehr der Wurzeln brachen durch die weiße Schicht und begannen schnell, dicker zu werden und ein dichtes Netz über der Grube zu bilden. Dann traten die Wurzeln weiter unten aus und wie spitze Dolche schoben sie sich von allen Seiten auf das Wesen zu. Es gelang ihm einen Moment lang, den Spitzen auszuweichen und auch einige zu zerstören, aber dann wuchsen die Wurzeln plötzlich mit hoher Geschwindigkeit und begannen mit einer kaum glaubbaren Leichtigkeit den grauen Schuppenpanzer zu durchdringen. An immer mehr Stellen blutete das Tier, dessen Schreie leiser und leiser wurden.

Es war bereits später Abend, als Fackellicht durch die silbernen Bäume schien und ankündigte, dass sie Landona bald erreichen würden. Die Blätter reflektieren den Fackelschein und der Wald strahlte in einem funkelnden, unwirklichen Licht. Eupha und Apono hatten sie begleitet, während die anderen Fellen sich auf den Weg nach Norden machten, wo sich der Feind dem Waldland näherte. Die Magae hatten sich Zeit gelassen, lange Gespräche mit den beiden Fellen geführt und so viel über das Waldland und die Fellen erfahren. Sie waren sehr eng mit dem Land und den Bäumen des Weltenwaldes verbunden. Allerdings war die Verbindung nicht so etwas wie ein Schwarm, wie Karrsa vermutet hatte. Apono sagte ihnen, dass der silberne Wald ein einziges Wesen sei und jeder einzelne Baum ein Teil dieses Wesens. Er konnte nicht erklären, wie die Bäume verbunden waren, sagte aber, dass auch dies eine Art Magie sei. Jedoch war er fest davon überzeugt, dass diese Art der Magie weit länger bestand als die, die durch den Aufschlag des Kometen entstanden war. Er sagte auch, dass Teile des Weltenwaldes auf ganz anderen Welten als Tarris existierten und sie durch die symbiotische Verbindung zu den Bäumen Blicke auf diese anderen Welten werfen konnten!

Karrsas Faszination über den Bericht zum Weltenwald wurde unterbrochen, als Ephana ihnen entgegenkam, um die Magae zu begrüßen. Auch sie trug silbergraue Kleidung, die wie schon in Wogende Ebene weit und fast durchsichtig war. Sie trug eine feine silberne Krone, die ebenso wie ihr Kleid mit glitzernden, weiß schimmernden Edelsteinen verziert war. Wie angewurzelt blieben die Magae stehen; beeindruckt von der überirdischen Schönheit der Herrscherin des Waldlandes. Sie nahm jeden der Magae, auch Karrsa und Maranda innig in den Arm und begrüßte sie herzlich in einer Gedankenübertragung. Trotz der Gefahren, die dem Waldland drohten, übermittelte sie zusammen mit ihren Gedanken Gefühle von Wärme und Geborgenheit, so dass sich jeder der Ankömmlinge von einem Moment auf den anderen wie zu Hause fühlte.

Landona selbst war groß und mehr als beeindruckend. Ephana führte sie, Maurah und Goldstein an den Händen haltend, in die Stadt. „Hier beginnt Landona“, sagte sie plötzlich und blickt nach oben. Alle folgten ihrem Blick und blieben stehen. Auf den unglaublich breiten Ästen eines riesigen Baumes befanden sich kleine Hütten, deren Terrassen von den Ästen weg in der Luft hingen. Dort brannten zahlreiche Fackeln und auch Feuer und leise Gesänge drangen zu ihnen herunter. Die Fellen, die über die Äste und geschwungenen Brücken wanderten, waren so hoch über ihnen, dass sie schon klein wirkten. Die Hütten selbst schienen aus den Ästen herausgewachsen zu sein und im Wind leicht schwingende Stoffe machten den Großteil der Wände aus. „Lebt Ihr auf den Bäumen?“, fragte Goldstein, aber Ephana lächelte nur. „Ihr werdet es sehen“, sagte sie geheimnisvoll. „Aber das, was Ihr dort oben seht, ist ein Wachtposten. Niemand kann ungesehen Landona betreten. Und niemand, der hier nicht willkommen ist, betritt Landona. Wir werden Euch zeigen, wie ein Bogen richtig genutzt wird!“ Maurah schmunzelte nur. „Ich bin sehr gespannt, Lady Ephana“, sagte sie nur.

Dann erreichten sie den Baum, zu dem die Äste mit den Wachtposten gehörten. Keiner der Magae hatte je solch‘ einen Baum gesehen. Sein Umfang war weit größer als der von Fanirs Elternhaus in Hornstadt und er diente als eine Art Wohnturm. Überall im Stamm gab es runde Fenster, aus denen gemütliches Licht den Abend erhellte und einen breite Wendeltreppe führte um den Stamm herum in die Höhe. Je weiter sie in Richtung Stadtmitte kamen, desto größer wurden die Bäume und immer mehr Feuer brannten vor den zahlreichen Hütten auf ihren Ästen. Aber auch auf dem mit dichtem, kurz geschnittenem Gras bewachsenen Boden stießen sie immer häufiger auf Hütten, Häuser und fast schon palastartige Bauten, deren Wände ausnahmslos aus bunten, feinen Tüchern bestanden, die an kunstvoll geschnitzten Holzgestellen befestigt waren. Alle Gebäude wirkten etwas runder als die der Homuae und wirkten so sehr fremdartig auf die Magae. In der Höhe wurden die Bäume durch hunderte von geschwungen, überdachten Brücken miteinander verbunden. Sie hingen an dicken Tauen und schwangen leicht hin und her.

Es war bereits dunkel geworden, als Ephana auf einer Holzbrücke, die sich über einen kleinen, murmelnden Bach spannte, anhielt. „Wir sind da.“ Sie deutet mit der Hand auf drei der riesigen Bäume, die ein Stück vor ihnen ungewöhnlich nah beieinander in die Höhe ragten. Zwischen ihnen schraubte sich eine zehn Schritte breite Wendeltreppe aus weißem Holz in die Höhe. Sie lief eng an den drei Bäumen vorbei und überall dort, wo sie einem der Bäume näher kam, führte ein breiter Steg zu je einem Tor in der Borke und zu den dahinterliegenden Räumen im Inneren des Baumes. Die Magae folgten der Wendeltreppe mit den Augen in die Höhe und sahen dann weit oben ein Lichtermeer, das ein großes Gebäude erleuchtete, das zwischen den Bäumen zu schweben schien. „Dies ist der Palast von Landona und dort werdet Ihr wohnen! Sollen wir die Treppe nehmen oder lieber den Aufzug?“, fragte Ephana schmunzelnd. Maranda blickte auf die Treppe und wandte sich dann an Ephana. „Spricht etwas dagegen, wenn ich fliege?“ „Nein – überhaupt nicht. Warte auf der Plattform am Ende der Wendeltreppe auf uns. Wir werden den Aufzug nehmen; dann werden wir auch nicht viel mehr Zeit benötigen als Du, Maranda!

Während Maranda schon in der Luft war, gingen die anderen in Richtung Wendeltreppe. Sie überquerten einen grün schimmernden Wassergraben, der in einigem Abstand die Bäume umgab. Schuppen großer Fische funkelten silbern unter der Wasseroberfläche, wenn sie vom Schein der Fackeln erfasst wurden, die am Geländer einer hölzernen Brücke befestigt waren. Die Magae überquerten die Brücke, um zu den Bäumen zu gelangen. Im Auge der Wendeltreppe befand sich eine, ebenfalls aus dem weißen Holz gefertigte Plattform mit einem schmalen, kunstvoll geschnitzten Geländer, an dem im gleichen Abstand zueinander drei Seile befestigt waren, die über ihnen in der Dunkelheit verschwanden.

Auf ein Handzeichen von Ephana spannten sich die Seile der Plattform und mit einem leichten Ruck wurden sie angehoben. Dann nahm die Geschwindigkeit des Aufzuges zu und Treppe, silbrige Borke und die Lichter, die in den Toröffnungen leuchteten, flogen an ihnen vorbei. Maranda wartete bereits auf sie und beobachtete, wie die Plattform des Aufzuges sich in den kreisrunden Ausschnitt der Plattform unter dem Palast einfügte und das Geländer in entsprechende Aussparungen klappte. Maurah blickte über den Rand, der nicht durch ein Geländer gesichert war. Sie mussten sehr hoch sein. Obwohl die Treppe weiß war, verschwand sie weit unter ihnen in der Dunkelheit und auch die Lichter der Fackeln am Boden wirkten ausgesprochen winzig. Vorsichtig verließ sie den Rand und ging zu ihren Freunden, die auf eine von Stoff umgebene Treppe zuhielten, die ebenfalls in Wendeln weiter nach oben zum Palast führte. Leuchtende Kristalle erhellten den Gang und ließen die Tücher, die – wie sie nun sahen – über dünnen Holzstäben gespannt und mit Mustern bestickt waren, in einem warmen Blauton strahlen. Sie wanderten durch zahllose der mit Stoff umgebenen Gänge und durchquerten Säle mit Wänden aus Stoff, auf denen sich vielfarbige Bilder von Landschaften, Jagdszenen und Schlachten befanden. Die Magae kamen sich vor, als wenn sie durch einen Traum gewandert wären, bevor Ephana vor einem Durchgang anhielt. „Dies sind die Gemächer, die wir für Euch vorbereitet haben.“ Sie blickte zu Maranda. „Der große Raum ist für Dich gedacht, Königin. Ich hoffe, das Nest, das wir für Dich vorbereitet haben, sagt Dir zu.“ Dann wendete sie sich wieder allen zu. „Heute Nacht haben wir ein Fest geplant. Ruht Euch etwas aus. Ich lasse Euch abholen, wenn beide Monde am Himmel stehen. Dann werden wir Zeit haben, miteinander zu reden.“ Sie nickte ihnen zu und verschwand geräuschlos.

Das rot-violette Licht der Morgendämmerung spiegelte sich bereits in den silbernen Blättern des Weltenwaldes, als sich das Fest der Fellen dem Ende zuneigte. Die Magae hatten zusammen mit fast einhundert Fellen die Nacht an einem großen Feuer verbracht und Geschichten erzählt bekommen. Sie lernten viel über die Verbindung der Fellen zum Weltenwald und das innige Verhältnis, das jeder der Fellen zu einem bestimmten Baum hatte. Mehrfach hatte Ephana ihnen gesagt, dass sie nichts von dem vergessen sollten, was ihnen in diesen Geschichten erzählt wurde. Es würde die Grundlage für die Gespräche in den nächsten Tagen sein. Dies fiel den Magae allerdings mehr als schwer, da zu viele Eindrücke auf sie niederprasselten und die für sie neue Art der Magie, die der Weltenwald um den Festplatz wob, eine fast schon berauschende Wirkung hatte. Getränke und Speisen waren fremdartig und schienen voll von Magie zu sein. Alles schmeckte unvergleichlich gut und selbst Maranda beschwerte sich nicht, obwohl die Menge an Nahrung für sie eher bescheiden war. Was jedoch nie einer von ihnen jemals vergessen würde, waren die Lieder, die sie hörten. Auch in ihnen wurden Geschichten erzählt. Der Gesang war klar und hell und sie sahen die Erzählungen, die gesungen wurden, in ihren Köpfen. Die Bäume um sie herum nahmen die Töne auf und die Lieder fügten sich in den Wald, in den Bach, in das Gras und selbst in die Luft ein. Alles wurde von ihnen beherrscht und trat in den Hintergrund, bis nur noch das Lied Realität war. Vor den Augen der Magae wurden Schlachten geschlagen – und sie rochen das Blut der Verletzten und den Schweiß der Kämpfer; sie hörte die Schreie der Verletzten und der Sterbenden und spürten die Trauer der Überlebenden. Sie spürten die Liebe von Fellenfürsten und sahen heimtückische Morde, die die Macht sichern sollten.

Die Magae dachten, dass sie nie etwas Schöneres erfahren würden, aber nach dem dritten Lied trat plötzlich Stille ein. Alle lauschten den letzten verklingenden Tönen; selbst die Vögel und Tiere des Waldes gaben kein Geräusch von sich und der leichte Wind, der geweht hatte, endete. Mitten in dieser besinnlichen Stille erklang dann aber erneut ein Ton, der in seiner Klarheit und Reinheit selbst den fast unglaublichen Gesang der Fellen von einem Moment auf den anderen vergessen ließ. Dieser Ton wurde nicht nur von der Welt aufgenommen, sondern er drang in alles ein, was ihn hörte. Dann begann Goldstein zu singen und ließ dem Ton ein Lied in ihrer Sprache folgen, das – nur durch die Musik – Fellen, Homuae, Neue Drachen und Karrsaraia zum Lachen brachte und zu Tränen rührte. Goldstein strahlte in einem weißen Licht, während sie sang und alle sahen sie fasziniert und mit Unglauben an. Die klaren Töne drangen durch Landona und kein Felle konnte sich der Wirkung entziehen. Auf den Bäumen und der Erde stoppten die Gespräche und jeder blickte in Richtung des Festplatzes. Dann spürten die Magae, wie Blitz auf das Muster und die Energie zugriff und nur Augenblicke später konnten alle sehen, worüber Goldstein sang.

Sie erzählte die Geschichte, wie ihr Volk gezwungen wurde, den Heimatplaneten zu verlassen. Alle, die dem Lied lauschten, konnten die verdorrte Oberfläche des Planeten sehen; die Reste der verbrannten Pflanzen und Lebewesen waren überall und verströmten unangenehme Gerüche. Sie konnten sehen, wie die Jorka eine riesige Form für ihr Raumschiff schufen, in die dann das Magma des Planetenkerns geleitet wurde. Als das Raumschiff vom Planeten geschossen wurde, begann sich dessen Oberfläche bereits zu verflüssigen – und die Zuhörer spürten die Hitze. Dann erzählte Goldstein über ihre Vorfahren bis hin zu ihrem Vater. Sie berichtete über den Bau der unterirdischen Städte und den Angriff von Dakaron. Schließlich beendete Sie das Lied mit der Aufnahme der Jorka in die Gemeinschaft der freien Völker von Tarris in Wogende Ebene. Als der letzte Ton verklungen war, waren Stunden vergangen.

Ephana stöhnte entsetzt auf. „Wir müssen ihnen helfen!“ Nur Augenblicke später beobachtete Fanir, wie bereits einige Fellen damit begannen, sich an langen Seilen in die Schlucht hinunter zu lassen. Er überlegte einen Moment. „Ich gehe mit hinunter. Diese Wrokorks sind zäh! Gannio, kannst Du den Staub wegblasen?

Ein leichter, stetiger Wind hatte bereits eingesetzt, während Fanir sich in die Schlucht abseilte. Als Fanir den felsigen Boden der Abendschlucht zwischen einigen der kleinen, dunkelgrünen Nadelbäume erreichte, war die Luft bereits wieder klar. Die Fellen hatten vor ihm die Talsohle erreicht und rannten durch das Gras, das hier noch nicht durch die feindlichen Truppen zertrampelt worden war, zur anderen Seite der Schlucht. Fanir folgte ihnen und stieß nach wenigen hundert Schritten auf die ersten Leichen, die nun den Boden bedeckten. Er bedauerte ihren Tod, zumal sie von Aussehen und Kleidung her den Angehörigen der Bergvölker sehr ähnelten. Viele waren nicht älter als er selbst und seiner Meinung nach viel zu jung, um Krieg in fremde Reiche zu tragen. Traurig wandte er den Kopf wieder in Richtung des Felsabbruches, um den Fellen zu helfen, als Karrsas warnende Gedanken ihn erreichten.

Sofort rollte Fanir sich nach hinten ab, zwischen zwei Leichen hindurch und sah, während er wieder auf die Füße kam, wie ein grüner Blitz dort durch die Luft raste, wo er soeben noch gestanden hatte. Der Wrokork war noch zweihundert Schritte von ihm entfernt und rannte auf ihn zu. Er schlug Haken, um den Blitzen zu entgehen, die Goldstein ihm entgegensandte. Wo die Blitze den Boden trafen, spritzte Schlamm fontänenartig in die Höhe. Fanir zog Sternenstaub, das mehr in seine Hand sprang, als dass es gezogen wurde. Erneut zuckt ein grüner Blitz auf Fanir zu, der ihn aber nun, wo er ihn kommen sah, mit spielerischer Leichtigkeit abwehren konnten. Der Wrokork wich dem zurückkehrenden Blitz geschickt aus. Er war vollkommen verunstaltet. Seine Rüstung war teilweise von der Hitze der Blitze geschmolzen worden und sein ganzer Körper war von Brandblasen übersät. Seine schwarz-grüne Haut war verbrannt und löste sich an mehreren Stellen vom Körper. Fanir konnte kaum glauben, dass das Wesen noch in der Lage sein könnte, einen Kampf zu führen. Aber er wusste, dass es so war, zu oft hatte er gesehen, dass schwere Verletzungen die Wrokorks kaum beeinträchtigten.

Fanir führte Sternenstaub nach vorne und leicht nach oben gestreckt in Angriffsposition. „Soll ich ihn erschießen?“, kam Maurahs Gedanke bei ihm an. „Nein, warte! Vielleicht kann ich etwas erfahren. Aber haltet Euch bereit, falls ich die Magie der Artefakte benötige!“ Der Wrokork rannte mittlerweile mit über dem Kopf erhobenen Zweihänder und würde ihn jeden Moment erreichen. Durch die Geschwindigkeit des massigen Körpers würde der Schlag hart und mächtig sein. Dazu kam die enorme Kraft des magischen Wesens.

Wie Fanir es im Tarutos gelernt hatte, wartete er den Ansatz des Schlages ab, der von oben auf seinen Kopf zielte. Im letzten Moment machte er einen nur kurzen Schritt zur Seite und trat dem, von seiner Geschwindigkeit weitergetriebenen Wrokork seitlich gegen das Knie. Das Monster kam aus dem Gleichgewicht, stolperte über eine der Leichen und fiel mit lautem Platschen in den Matsch. Sofort drehte sich der Wrokork wieder um und brachte, noch am Boden liegend, seinen Zweihänder schräg vor seinem Körper in Verteidigungsstellung. Fanir war ihm bereits gefolgt und stand, nur durch den erneut nach vorne gestreckten Sternenstaub von dem Monster getrennt, eineinhalb Schritte von ihm entfernt.

Gib auf Monster! Sonst muss ich Dich töten.“ Der Wrokork gab ein Krächzen von sich, dass vor den Verletzungen durch die Hitze ein Lachen gewesen sein musste. „Was willst Du hier, Monster?“ „Wassss isch hier will? Dassss issst Dakarons Welt und isch will ssssie von Ungeheuern wie Dir befreien, Zzzzwerg! Auch Deine ekelhaften Frrreunde haben wir bereitsss aussss diesser hässssslichen Stadt im Grasssss vertrieben oder getötet. Und jetzzzt kommsssst Du an die Reihe. Auch wenn esssss dassss letzzzte issst, wasss isch tun kann!“ Fanir rann eine Gänsehaut über den Rücken, aber dann griff das Monster mit einem, für die liegende Stellung, in der er sich befand, unglaublich kräftigen Schlag an. Fanir parierte, musste aber um sein Gleichgewicht ringen und so einige Schritte zurücktreten. Der Wrokork kam auf die Füße und stieß ein Triumphgeschrei aus. Sternenstaub begann rot zu glühen. Der Wrokork machte einen Satz nach vorne und schlug erneut mit aller Kraft zu, aber dieses Mal war Fanir vorbereitet. Die Klingen prallten aufeinander und die beiden ungleichen Kämpfer gaben nicht nach. Der Wrokork merkte, dass das kleine Wesen über mehr Kraft verfügte, als er vermutet hatte. Er versuchte, Fanir mit seinem Schwert von sich wegzustoßen, aber Fanir sah das Zucken der Armmuskeln des Monsters.

Genau in dem Moment, als der Stoß kam, trat er erneut einen Schritt zur Seite und der Wrokork stolperte wiederum nach vorne. Fanir drehte sich aus dem seitlichen Schritt um die eigene Achse und nutze den Schwung zum Angriff. Mit hoher Geschwindigkeit und aller magischen Kraft, die er selbst und auch Feuerfreund in seine Muskeln fließen lassen konnte, führte er das Schwert aus der Drehbewegung gegen den Oberschenkel des Wrokorks – und traf. Feuerfreund durchtrennte parallel zum Boden den halben Oberschenkel des Feindes und dunkles Blut rann über die Klinge. Das Monster gab ein grunzendes Geräusch von sich und stürzte sich, ohne auf die erneute Verletzung zu achten, wieder auf Fanir. Fünf Mal krachten die Klingen im Abstand von Sekundenbruchteilen aufeinander, bevor beide einen Schritt zurück traten. Nun griff Fanir an. Er ging langsam vorwärts und ließ einen Wirbel von kräftigen Schlägen auf den Wrokork niederprasseln, dem es immer schwerer fiel, mit seinem langen, im Vergleich zu Sternenstaub unhandlichen Schwert, zu parieren. Dazu kam, dass Fanir, der einhändig kämpfte, deutlich beweglicher war. Fanir konzentrierte sich. Obwohl er den Wirbel seiner Schläge weiterführte, raste plötzlich aus seiner linken Hand ein rot leuchtender Feuerball auf den Kopf des Wrokorks zu. Die Entfernung war zu kurz, um zu reagieren und die Magie drückte den Kopf des Monsters, der erneut zu brennen begann, nach hinten. Fanir sprang hoch und sein Schlag traf den ungeschützten Hals seines Gegners. Der Kampf war zu Ende und der Kopf des Wrokorks fiel in den Schlamm.  ……………